40 000 Scherben geben Rätsel auf

06.12.2010

Löffelstelz-Funde sind für Archäologen "historischer Müll" - Spekulationen um eine Mittelalter-Deponie

Die Löffelstelz-Scherben, die auch im Heimatmuseum gezeigt werden, könnten von einer mittelalterlichen Deponie stammen.
Die Löffelstelz-Scherben, die auch im Heimatmuseum gezeigt werden, könnten von einer mittelalterlichen Deponie stammen.

Im Normalfall rekonstruieren Archäologen anhand historischer Funde das Leben vergangener Zeiten. Die Burgruine Löffelstelz ist allerdings alles andere als ein Normalfall, wie Archäologe Tilmann Marstaller in seinem Vortrag „Die Löffelstelz und der alte Müll“ im Mühlehof erklärte.

MÜHLACKER. Der Vortrag vor rund 100 Zuhörern im Kleinen Saal des Mühlehofes markierte den Abschluss der wissen-schaftlichen Arbeiten an der Burgruine, in deren Verlauf über 40 000 Fundstücke geborgen worden waren. Die „Scherbabuzzer“ hatten dies mit ihrer ehrenamtlichen Arbeit erst möglich gemacht. Sie hatten mit viel Geduld und Akribie die vielen Scherben gesichert, die mittlerweile mehr Fragen aufwerfen, als sie vielleicht beantworten. Denn wie Bauforscher Marstaller in seinem Vortrag deutlich machte, handelte es sich bei den Funden um historischen Müll.

Haben also die Bewohner der Burg ihren Müll direkt unter sich entsorgt? Diese Annahme kam dem Wissenschaftler wenig wahrscheinlich vor. Es gebe Hinweise, dass der Müll auf einer Deponie im Bereich des heutigen Senderstandortes gelagert wurde. An ihren Fundort aber wurden die Scherben erst nach Aufgabe der Burg im 16. Jahrhundert gebracht. Herzog Ulrich hatte die Burg 1504 auf seinem Weg nach Maulbronn zerstört. Der Herzog habe üblicherweise den Bewohnern der von ihm in Schutt und Asche gelegten Ortschaften drei Tage Zeit gegeben, ihr Hab und Gut zusammenzupacken, berichtete Marstaller. Dies könne ein Grund dafür sein, dass auf der Burg keinerlei Überreste von Inventar gefunden wurde.
Warum aber wanderte der Müll wieder zurück in die Burg ? Die vermutliche Auflösung des Rätsels gibt vielleicht ein historisches Foto: Es zeigt die Hänge rund um die Burg als Weinberge. Marstaller ging davon aus, dass auch in der Burg Weinreben gepflanzt wurden. Bei der Müllablagerung im Innern der Burg habe es sich also „um eine Auffüllungsmaßnahme gehandelt, um Boden für die Weinberge zu kreieren“.

Marstaller skizzierte in seinem Vortrag noch einmal die Geschichte und bauliche Entwicklung des Burgkomplexes nach, dessen Ursprünge bis in das elfte Jahrhundert zurückreichen. Allerdings gebe es keinerlei schriftliche Hinweise.

Allein 30 520 Scherben von Gebrauchskeramik waren im Verlauf der Sanierungs- und Ausgrabungsarbeiten seit 2004 sicher gestellt worden. Verschwindend gering waren die Funde an Glas- und Eisenteilen mit 518 beziehungsweise 488 Funden. Marstaller führte dies darauf zurück, dass bereits im Mittelalter Glas und Eisen recycelt wurde. „Man fand alles, was nicht mehr nutzbar war. Man fand Müll“, stellte der Mittelalter-Archäologe klar.
Die Masse an Funden allerdings sei „exorbitant“ gewesen. Der Experte: „Es ist kein gewöhnlicher Fundkomplex.“ Marstaller rechnet damit, dass die Fundaufbereitung und Dokumentation noch vor Weihnachten abgeschlossen sein wird.

Mühlacker Tagblatt vom 6.12.2010, Text und Foto: Ulrike Stahlfeld